Ist unser Leben vorbestimmt und was sagt die Quantenphysik dazu?

Mit dem Irrglauben, dass in letzter Konsequenz alles mathematisch determiniert sei und, sofern man die "Weltformel" kennt, daher im Prinzip alles vorausberechnen könne, räumt (glücklicherweise für uns Menschen) allein schon die Quantenphysik auf. Die Quantenphysik ist es im Grunde auch, die es am deutlichsten macht, dass Wissenschaft (auch Naturwissenschaft) und Philosophie untrennbar miteinander verbunden sind.

Das Überlagerungsprinzip, von dem bei Conny sehr viel die Rede ist, wird in der Quantenphysik praktisch bis zum Exzess ausgelebt und ohne dieses Prinzip würde es die Quantentheorie nicht geben! Auch in der Quantenphysik geht es um Überlagerungen von Zuständen allgemeinerer Art, bei denen man nie so ohne weiteres auf die Idee kommen würde, diese überlagern zu wollen. In der Quantenphysik werden sogar sich nach unserer klassischen Logik ausschließende Zustände und Möglichkeiten überlagert und man verlässt damit gleichzeitig den Boden des Vorstellbaren.

Sind Sinus- und Cosinus als Ausgangspunkt für eine Überlagerung immerhin noch gut vorstellbar, so sind es nämlich die Objekte oder Zustände der Quantenphysik meist nicht mehr. Genauer gesagt, kann man sich die Basiseigenschaften bzw. Basiszustände, die überlagert werden sollen, jeweils für sich vielleicht noch vorstellen, aber das Resultat der Überlagerung entzieht sich meist gänzlich unserem geistigen Fassungsvermögen - was aber noch lange nicht bedeutet, dass diese Überlagerungen deshalb nicht existieren können!  

Nehmen wir als einfaches Beispiel einen Gegenstand, der sich an 2 Orten, nämlich Ort A und Ort B befinden kann. So ist für uns völlig klar, dass es nur ein "entweder/oder" geben kann, nämlich dass sich der Gegenstand entweder am Ort A oder Ort B befindet. Ort A und Ort B sind 2 sich gegenseitig ausschließende Möglichkeiten für den Aufenthaltsort eines einzigen Gegenstandes. Die Quantenphysik sagt uns aber, dass auch der Überlagerungszustand aus Ort A und Ort B möglich ist, sodass sich der Gegenstand quasi an 2 Orten gleichzeitig befinden kann. Aber selbst wenn ein derartiger Überlagerungszustand von 2 unterschiedlichen Orten Realität ist, so können wir, wenn wir nachschauen wo der Gegenstand nun ist, diesen dennoch immer nur an einem der beiden Orte finden. Diese Erfahrung führt uns zur an sich quantenphysikalisch nicht richtigen Auffassung, dass sich der Gegenstand immer schon an dem einen Ort befunden haben muss, wo wir ihn finden, da wir nach unserer Auffassung nach ja nichts getan haben, außer (heimlich) nachzusehen - Falsch! Denn die Quantenphysik lehrt uns, dass auch dieser Überlagerungszustand Realität ist, aber nur solange wir nicht nachsehen, wo der Gegenstand ist! Denn sobald wir nachsehen, zerstören wir dadurch diesen Überlagerungszustand und das System nimmt eine für uns begreifbare Form an, nämlich Ort A oder Ort B. Dieser Sachverhalt wurde zwar nicht mit Gegenständen unseres täglichen Lebens, aber mit kleinen Elementarteichen zweifelsfrei experimentell überprüft. Was wir daraus lernen können ist, dass unsere Vorstellung, wie z.B. von der eines Ortes, eine beschränkte und im Grunde ungenügende ist, um die Welt in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu beschreiben.   

Markus hat den Aspekt mit der Heisenberg'schen Unschärferelation treffend anklingen lassen und ich darf dazu versuchen, auch diesen Gedanken etwas weiterzuführen: Wir sind es aus unserer täglichen Erfahrung gewohnt, dass Objekte (so wie auch wir selbst) sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten befinden und sich mit mehr oder weniger Geschwindigkeit von einem Ort zum anderen bewegen (das ist eigentlich nicht nur Gewohnheit, sondern wir können uns unser Agieren in der Welt ja gar nicht anders denken). Wir schreiben also allen Objekten einen Ort und eine Geschwindigkeit (die physikalisch zum Impuls wird) für die Bewegung zwischen den Orten zu. Die Quantenphysik zeigt nun aber klar auf, dass das Konzept von Ort und Geschwindigkeit zur Beschreibung von Objekten im kleinsten Raum (z.B. innerhalb eines Atoms) überhaupt nicht mehr gilt und dieses Konzept konsequenterweise auch für unseren alltäglichen Lebensraum eigentlich nur mehr ungefähr funktioniert, wenn auch mit meist ausreichend hoher Genauigkeit.  Man kann dennoch nach wie vor von jedem Objekt den Ort und die Geschwindigkeit messen (sogar von einem Atom und noch kleineren Teilchen) und man bekommt bei der Messung von Ort und Geschwindigkeit sogar auch immer bestimmte Werte für beides - also an unseren Messinstrumenten liegt es nicht! Aber sobald man z.B. zuerst den Ort ganz exakt misst, ist der Wert der danach gemessenen Geschwindigkeit zu einem gewissen Grad nur mehr ein Zufallswert (was man allerdings nicht merkt, wenn man den Versuch nur einmal macht).  Misst man zuerst die Geschwindigkeit, wird die Ortsermittlung zum Zufallsresultat - man verliert somit "so oder so" eigentlich durch die Beobachtung (=Messung) die Grundlage dafür, ganz exakt vorausberechnen zu können, wo das Objekt zu einem späteren Zeitpunkt sein wird. Aber wie gesagt, man merkt dies nur, wenn man es schafft, einen entsprechenden Versuch unter exakt den gleichen Ausgangsbedingungen zu wiederholen und die Ergebnisse zu vergleichen, was in der Praxis selten der Fall ist. In der Atomphysik fällt diese sogenannte "Unschärfe" bei Orts und Geschwindigkeitsmessung sofort auf, aber in unserer alltäglichen Umgebung nicht so ohne Weiteres, obwohl auch da ebenfalls präsent.

Nehmen wir als Beispiel ein Billardspiel, so würde man doch annehmen, dass es zumindest theoretisch möglich sein müsste, unter idealen Bedingungen eine Kugel exakt 2 mal ganz gleich zu spielen. In einer Computersimulation, die keine Quantenphysik ins Modell eingebaut hat, würde unter exakt denselben Stoßbedingungen bei Wiederholung die Kugel 2 mal exakt am selben Punkt ankommen, selbst wenn der Billardtisch so gebaut wäre, dass die Kugel erst nach 30 - 40 Bandenberührungen zur Ruhe kommt. Angenommen, es gäbe nun tatsächlich einen so tollen Billardspieler der es zuwege bringen könnte, die gleiche Kugel zwei mal so exakt anzuspielen,  dass sie wie bei der Computersimulation nach 40 Bandenberührungen wieder exakt an derselben Stelle landet. Allerdings macht die Quantenphysik diesem Ansinnen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Aufgrund des Umstandes, dass präzise Ortsangaben einen gewissen Zufallseffekt für den Wert der Geschwindigkeit bedingen und umgekehrt, kommt bei jeder Bandenberührung der Billardkugel ein kleiner Fehler zustande, der zunächst nicht auffallen wird, aber sich mit jeder weiteren Bandenberührung verstärkt und somit weiter aufschaukelt und man kann unter Verwendung der Heisenberg'schen Unschärferelation auch ausrechen, dass nach 40 Bandenberührungen, ohne jeden Einfluss von außen und unter idealsten Bedingungen danach der weitere Weg der Kugel vollkommen unbestimmt ist und auch bei exaktester mathematisch präziser Wiederholung dieses Stoßes die Kugel beim zweiten mal ganz woanders landen würde (vielleicht sind es 60 Bandenberührungen oder sogar weniger, ich weiß im Moment das Zitat nicht, aber das tut der Grundaussage keinen Abbruch). Vorgänge sind somit im strengen mathematischen Sinne nicht wiederholbar und somit eigentlich auch nicht streng vorhersagbar.

Wenn so etwas bereits in einem so einfach überschaubaren System wie einem Billardtisch passiert, wer maßt sich dann noch an, für viel komplexere Systeme wie Wirtschaft und Finanzmarkt langfristige Vorausberechnungen machen zu wollen? (Die Finanzmathematiker lernen halt leider keine Quantenphysik und das häufige Unverständnis des Ursprungs der teilweise von den Naturwissenschaften abgeschauten Modellansätze führt dazu, dass die Aussagekraft solcher Modelle meist gefährlich überschätzt wird, wie man wohl in Zeiten wie diesen schmerzhaft erkennen muss...).

Was sagt uns dazu die Quantenphysik vom philosophischen Standpunkt aus?

Vereinfacht ausgedrückt sagt uns das, dass wir uns unsere Welt, oder besser gesagt, unsere Realität eigentlich selbst erschaffen und Ort und Geschwindigkeit Konzepte unseres (beschränkten)  Erfassungsvermögens sind, die aber nicht ausreichen, das Ganze als Gesamtheit zu erfassen. Was für uns zusammengehört, wie z.B. Ort und Geschwindigkeit, scheint sich in letzter Konsequenz gegenseitig auszuschließen, was den Verdacht aufkommen läßt, dass Ort und Geschwindigkeit zu einem gewissen Grad menschliche Hilfsvorstellungen sind. Sogar mehr noch, indem wir unsere Messung (=Beobachtung) einer dieser Eigenschaften, wie z.B. des Ortes durchführen,  wird das System dadurch auch tatsächlich an den entsprechenden Ort gezwungen und der ursprüngliche Zustand  geht damit verloren, oder noch drastischer ausgedrückt, der ursprüngliche Zustand wird zerstört. Messen wir einen Ort, so bekommen wir  auch einen Ort als Resultat und auch das beobachtete Objekt ist dann auch an diesen Ort gebunden - selbst dann, wenn dieser Ort für dieses Objekt anfänglich keine Bedeutung hatte. Durch unser Beobachten und Messen zwängen wir sozusagen die Welt durch unser beschränktes Sichtfenster und verändern (eigentlich reduzieren) sie dadurch. Ob das gut oder schlecht ist, bleibt eine philosophische Frage.  Aber kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? Wenn man sich z.B. vom Pech verfolgt fühlt und ständig danach Ausschau hält, dann ereilt einen das Pech letztlich auch...man beschwört ein Unglück durch einen entsprechend ausgeprägten Pessimismus nahezu herauf und es wird damit zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Ich denke, es ließen sich da noch unzählige weitere Analogien im menschlichen Leben finden.

Sorry, dass es so lange geworden ist und noch etwas länger wird, denn es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt, mit dem ich wieder zum Überlagerungseffekt zurückkomme: Es gibt kein entweder-oder in der Quantenphysik. Alles was möglich ist, ist auch durch Überlagerung gleichzeitig möglich, selbst wenn sich die verschiedenen Möglichkeiten nach unserem intellektuellen Verständnis ausschließen, wie ich bereits weiter vorne mit einem Gegenstand an zwei Orten beispielhaft angedeutet habe.

Das krasseste (Gedanken-)Beispiel, mit dem dieser Umstand von keinem geringeren als Erwin Schrödinger beschrieben wurde, ist die "Schrödinger'sche Katze", dabei geht es kurz um folgendes:

Eine Katze ist in einer verschlossenen Box eingesperrt. In dieser befindet sich zusätzlich ein einziges Atom einer radioaktiven Substanz, von der innerhalb von 1 Stunde die Hälfte zerfällt. D.h. von 100 Atomen würden nach 1 Stunde etwa 50 zerfallen sein, aber nachdem nur 1 Atom davon vorhanden ist, kann das nur bedeuten, dass nach einer Stunde dieses Atom mit 50% Wahrscheinlichkeit bereits zerfallen ist oder eben noch nicht zerfallen ist. Die Box mit der Katze enthält auch noch einen Behälter mit Giftgas, der durch einen Mechanismus geöffnet wird, sobald das Atom zerfällt und somit die Katze tötet. Nachdem es sich beim radioaktiven Atom um ein Quantenobjekt handelt, werden die beiden Möglichkeiten " ist bereits zerfallen" oder "ist noch nicht zerfallen" wie Sinus und Cosinus überlagert und es entsteht ein Mischzustand von diesen zwei sich nach unserem (beschränkten) Verständnis ausschließenden Möglichkeiten, die nach einer Stunde etwa mit gleichen Anteilen zur Überlagerung beitragen. Nachdem aber diese beiden Möglichkeiten für die Katze ebenfalls drastische Konsequenzen haben, nämlich "tot" oder "lebendig", ist auch die Katze nach einer Stunde zu 50% tot und zu 50% noch lebendig - vollkommen unvorstellbar, oder? Das beste ist dann wohl, man sieht einfach nach.... Aber sobald man die Box öffnet, wird die Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit und wir finden das Atom nach einer Stunde entweder tatsächlich schon zerfallen und die Katze tot, oder das Atom ist eben noch nicht zerfallen und die Katze schnurrt friedlich vor sich hin. Nach den Grundprinzipien der Quantenphysik entscheidet sich das System aber erst durch das aktive Nachschauen von uns für eine der beiden Möglichkeiten, aber bis dahin bleibt das System im Überlagerungszustand der beiden Möglichkeiten, was letztlich für die Katze einen Zustand von gleichzeitig tot und lebendig bedeutet. Das ist ganz analog dazu wie wenn man annimmt, dass beim Münzenaufwerfen sich die Münze erst im Moment des Nachsehens unter der abdeckenden Hand für Kopf oder Zahl entscheidet und nicht schon vorher (natürlich ist dies ein unrealistisches Beispiel nur zur Veranschaulichung des Sachverhaltes, da man die Münze eigentlich auch unter der abgedeckten Hand quasi sieht, d.h. fühlt und man daher darauf vertrauen kann, dass sich die Münze nicht im letzten Moment, bevor man die Hand hebt, schnell noch einmal umdreht, aber ich hoffe ihr wisst, was ich mit diesem Vergleich sagen wollte!)..... Die Realität dieses mysteriösen Effektes ist eindeutig experimentell erwiesen (natürlich nicht mit einer Katze und auch nicht mit einer Münze), sondern mit kleinen Teilchen wie Elektronen und Atomen, ja sogar mit ganzen Molekülen.

Auch hier kommt wieder zum Tragen, dass wir mit unserem Beobachten und Messen ( = Nachschauen) die Welt in unser beschränktes Gesichtsfeld hereinholen und dadurch bereits verändern, und damit sozusagen die "Katze" von ihrem Metazustand zurück auf den Boden unserer Realität zurückholen, in der es eben nur ein entweder Leben oder Tod gibt, aber nichts "dazwischen".

Vor dem Hintergrund der Quantenphysik, von dem ich versucht habe hier einige Aspekte darzustellen, kommen mir daher Gedanken durchaus vertraut vor, die einerseits eine unendliche Mannigfaltigkeit des Lebens in Betracht ziehen, aber dennoch versuchen, diese durch Überlagerung von wenigen "Schlüsselzuständen" zu beschreiben, die man sich vielleicht durchaus auch als eine ausgewogene Anordnung an den Ecken oder Seiten eines Dreieckes vorstellen kann;  auch Gedanken, dass trotz vermeintlichem Vorherrschen der Mathematik auf allen Ebenen der Lebensweg wie der Weg der beispielhaften Billardkugel nicht zwingend vorgezeichnet ist und dass der Mensch durch sein Tun sehr wohl Einfluss auf den Verlauf seines eigenen Lebens nimmt und sogar seine eigenen Realitäten verändern kann, passen für mich sehr gut in dieses Bild. Worin uns die Quantenphysik vielleicht sogar Tröstliches bieten kann ist der Umstand, dass Widersprüchliches (soll ja auf der Gefühlsebene öfters vorkommen...) womöglich ein wichtiger Teil eines Ganzen ist , welches man manchmal lieber nicht zu genau messen, hinterfragen und auch nicht immer auf die Goldwaage legen sollte, da man sonst dadurch vielleicht dieses Ganze verliert oder zerstört, was das Mensch sein eigentlich erst zu einem solchen macht. So wie in der Quantenphysik deutet Widersprüchliches für unsere normale Wahrnehmung  oft auf größere nicht näher erfassbare Zusammenhänge hin. Daher müssen wir wohl auch in unserem menschlichen Leben mit Widersprüchen leben lernen, damit wir die sonst all zu engen Ketten eines rein rationalen und dadurch vielleicht auch langweiligen Daseins sprengen können. Existentionalisten würden dazu vielleicht sogar sagen, dass man sich mitunter einer gewissen Widersprüchlichkeit bewusst hingeben muss, um dem Leben dadurch erst einen höheren Sinn geben zu können, aber das ist eine andere Geschichte ...

 

J. Oswald